Das geht doch gar nicht um Notre-Dame de Paris zu trauern
Gedanken

Das geht doch gar nicht, um Notre-Dame de Paris zu trauern

Ich habe lange nachgedacht, ob ich dazu was schreibe. Ich bin doch nicht auch noch einer der Katastrophenprofiteure oder Click-Bait-Jäger. Aber was da im Netz wieder abgeht ist eigentlich schon unerträglich und ist so supertypisch für unsere digitale Welt und da kommt mir das Ko… Ihr wisst ja, dass Paris eine meiner Lieblingsstädte ist und ich mich dort sehr wohl fühle, daher betrifft mich der Niedergang (hoffentlich nur kurzzeitig) von Notre-Dame schon besonders.

Katastrophen bringen das Beste in den Menschen hervor?

Katastrophen bringen das Beste in den Menschen hervor

Das ist sicher so! Aber leider nicht bei allen. Also die Solidaritätswelle ist in Paris und Frankreich schon hochgegangen wie klar wurde, dass die Schäden immens sein werden. Da stehen die streitbaren und streikenden schon wieder wie ein Mann, eine Frau zusammen, wenn es in ihrem Land eine Katastrophe gibt. Da wird gleich mal von allen Kohle in die Hand genommen und Sachspenden (1.300 Fichten) angeboten. Nur damit der (nationale) Stolz wiederhergestellt wird.
So nebenbei: Alle Zitate hier habe ich wirklich so gelesen…

Wurde langsam Zeit – immer wenn in Frankreich Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren kommt es zu einem „Anschlag“; perfekt um die Bürgerrechte wieder ein wenig zu beschneiden.

Und sofort sind sie da: die MoralpredigerInnen

Und sofort sind sie da: die Moralprediger

Und die gehen mir mächtig auf die Nerven. Da sind sie gleich da, welche mir vorschreiben wie ich zu trauern habe und ob ich das überhaupt darf. Denn um ein Gebäude zu trauern ist einfach moralisch verwerflich! Da der Klimawandel bei weitem noch nicht besiegt ist und wird eben gerade sehr thematisiert, die Hungersnöte noch bestehen, Menschen im Mittelmeer ertrinken, die Gänseblümchen sich nicht frei entfalten dürfen, der Benzinpreis seit Jahrzehnten zu hoch ist oder was immer du hier einsetzen willst und wichtiger ist, muss die Betroffenheit verhindern. Ich lasse mir doch nicht vorschreiben (von absolut niemanden) was mich emotional berührt. Diese BeurteilerInnen, welche mir mit dem erhobenen Zeigefinger vorschreiben, dass meine Trauer über Stein und Holz moralisch unkorrekt ist, können mir gestohlen bleiben. Denn Trauer ist ein Gefühl, dass sich jeder Be-/Verurteilung entzieht. Genauso wie Freude oder Liebe!

… das ist selbstverständlich wichtiger als die Tatsache das das EU-Urheberrecht gegen den Willen des Protests durchgesetzt wurde! …

Und neben ihnen stehen: die NeiderInnen & MiesmacherInnen

Und neben ihnen stehen: die NeiderInnen & MiesmacherInnen

Da spenden drei reiche französische Familien locker eine halbe Milliarde Euro um die noch rauchenden Ruinen aufzubauen. Müssten sie nicht. Und die mexikanischen Straßenkinder brauchen die Kohle dringender. Warum wird für die gespendet und nicht für die bulgarischen Straßenhunde? Aber die Kinder in Afrika verhungern wirklich, die brauchen das Geld doch dringender. Und überhaupt die Kirche hat doch genug Geld und der Vatikan soll das doch bezahlen. Alle Argumente sind vielleicht wahr und auch wichtig, aber sie entmutigen diejenigen welche Spenden.
Und so nebenbei hätten sich die Spender neue Villen an der Côte d’Azur gekauft, hätte sich niemand zum Moralapostel aufgeschwungen und es wäre gut gewesen. Und es wäre sehr leicht, die ganzen NörglerInnen und ZerrederInnen können doch auch spenden. Für das was ihnen wichtig ist. Aber das Schlechtmachen in den sozialen Medien ist viel leichter und kostet auch nicht einen eigenen Euro.

…Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie viel Geld plötzlich da ist wenn es um alte Gemäuer geht und wie wenig, wenn Menschen von Naturkatastrophen heimgesucht werden…

Und im Gefolge sind gleich noch: die VerschwörungstheoretikerInnen

Und im Gefolge sind gleich noch: die VerschwörungstheoretikerInnen

Alleine bei der Bezeichnung musste ich mich jetzt konzentrieren, um es richtig zu schreiben. Da rennt ein Mann hektisch auf der Balustrade von Notre-Dame (mit weißer Kopfbedeckung) und schon wird ein moslemischer Brandstifter daraus. Es war ein Feuerwehrmann mit seinem weißen Helm.
Da werden gleich die Moslems eingebaut, welche die Glaubensstätten in Europa vernichten wollen, bis hinauf zum Petersdom im Vatikan. Natürlich ist auch jede mögliche Verbindung zum Terror aktiviert worden. Und da ja Macron mit den Gelbwesten reden wollte, wurde von der Regierung der Brand gelegt um diese Streikbewegung endlich weg zu haben. Dann kommen auch noch die Querverbindungen heraus: Das ist die Strafe Gottes gegen die katholische Kirche, weil der Papst die Rede gehalten hat, die Kirche Reichtümer anhäuft oder bitte selber einsetzen, es passt da alles. Auch die können sich wieder in ihre Mäuselöcher zurückziehen. Denkt doch alle einfach mal nach… Gerüst, Renovierung, trockenes Holz, Flex oder was auch immer, Funken, Feuer, Unfall …

…In 100 Jahren wird es in Europa keine Kirchen mehr geben…

Am Ende des ganzen Trosses rennen dann: die Hass-SchürerInnen

Am Ende des ganzen Trosses rennen dann: die Hass-Schürer

Da haben wir doch eh schon genug PopulistInnen, PredigerInnen und Einfach-DenkerInnen und genau die springen jetzt auch voll auf das Thema rauf. Die Kirche ist ja ein System der Unterdrückung und das ist jetzt das Zeichen Gottes, dass sie verschwinden soll. Und am Besten machen wir jetzt Jagd auf alle aktiven Mitglieder des Systems. Da werden die betroffenen Menschen mit Hass überschüttet. Das Verschwinden der kubanischen Weinbergschnecke ist doch wohl wichtiger für die Welt, als das Verschwinden eines Dachstuhls. Es gibt genug Gründe wie hier der Hass ausgelebt und geschürt wird. Ich kriege es nicht in die Tasten rein und will dazu keinen weiteren Satz verschwenden.

…Die brauchen Platz für eine neue MOSCHEE…

Und vor der Parade rennen: die Dumme-Witze-MacherInnen

Und vor der Parade rennen: die Dumme-Witze-Macher

Hat der Glöckner wohl einen Joint geraucht und weggeworfen, ist schon eine der Meldungen. Quaismodo zündelt schon wieder, geht da ja in die gleiche Richtung. Und da gibt es noch mehr, aber es widerstrebt mir einfach, da noch weitere Beispiele zu schreiben.

Na – habt’s den Quasimodo wieder sekkiert?

Und am Rande stehen: die Ruhigen

Und am Rande stehen: die Ruhigen

Jene die wirklich betroffen sind, die trauern. Ob es jetzt um die Kathedrale als Kulturgut, als Kraftplatz, als Glaubensplatz ist nämlich egal. Wie oben gesagt: Trauer entzieht sich einer Beurteilung, einer Verurteilung und jeder moralischen Wertung. Jene die mitfühlen und sich hineinfühlen, in den Verlust eines Stücks der Identität, den Verlust eines wunderschönen Gebäudes, den Verlust an und für sich. All die werden wieder nicht gehört werden und werden sich ruhig umdrehen, den Kopf über all die oben genannten schütteln und ein leises und stilles Andenken bewahren.

Ein Schicksalsschlag bringt das Beste im Menschen hervor. Aber nicht alle wollen ihr Bestes zeigen…

 

4 Kommentar
  1. Mo
    Mo
    18. April 2019 um 18:39

    Hallo Clemens,

    wow, ein ganz toller Artikel. Ich habe ihn förmlich verschlungen, denn mir gingen die Tiraden in den Sozialen Medien auch schon fürchterlich auf die Nerven. Gerade wenn es um Geld geht, stehen die Kritiker und Neider ganz weit oben.
    Ich finde auch – und mir erging es ähnlich – um diese sagenhafte alte Kirche muss man einfach trauern. Sie ist Kulturgut – natürlich auch Glaubensstätte – und eben auch ein großes Wahrzeichen einer wundervollen Stadt. Dass Leute Geld für den Wiederaufbau gespendet haben, finde ich phantastisch. Für die Dresdener Frauenkirche haben sie es damals auch getan – und es hat sich gelohnt! Solche Kulturdenkmäler gehören zu uns und die Bauleistung der damaligen Architekten und Erbauer zu erhalten finde ich persönlich sehr wichtig!
    Liebe Grüße
    Mo
    http://www.just-take-a-look.berlin

    Antworten
    • The Magical Digital Nomad
      The Magical Digital Nomad • Artikelautor •
      18. April 2019 um 20:05

      Hallo Mo,
      ich sehe es eben auch so. Und das dauernde vorschreiben was jemand mit seinem Geld machen muss/darf/soll geht mir so was von auf die Nerven. Wenn es legal verdient ist, geht es keinem mehr was an. Und auch die Bewertung ob es gerecht und solidarisch richtig verdient wurde steht keinem zu. Wir geben uns als Gesellschaft gemeinsame Regeln, nennt man Gesetze, und wenn es innerhalb dieses Rahmen verdient ist, ist alles gut. Wenn wir die Regeln als schlecht empfinden müssen wir sie ändern und nicht darüber jammern oder bestimmen wie wer mit dem erwirtschafteten Vermögen umgeht.
      Und betrübt zu sein, wenn ein Kulturgut verloren geht und zu versuchen es zu retten, zu restaurieren ist eine Frage des Respekts vor der eigenen Kultur und sonst nichts. Keine Glaubensfrage, keine Prestigefrage, kein gar nichts. Nur Respekt und Demut vor den Leistungen unserer Ahnen. Denn ohne Notre-Dame wären Hochhäuser nicht möglich. Denn die Errungenschaften der Gotik im Bereicht der Statik und Architektur werden heute noch gerne genutzt.

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  2. Berlinerin in Frankreich
    Berlinerin in Frankreich
    19. April 2019 um 14:33

    Hallo Clemens,

    vielen Dank für diesen Beitrag! Komische Leute gibts…
    Wie heißt es so schön: Kritik sagt vor allem etwas aus, über den, der kritisiert und nicht über das, was kritisiert wird. Die Leute, die solche Dinge von sich geben, sollten sich mal fragen, warum die Franzosen so reagieren.
    In Frankreich, vor allem in Paris, sind in den letzten Jahren so viele „Katastrophen“ geschehen. Das lässt sich emotional kaum bewältigen. Hinzu kommt die politische Situation, die als sehr unstabil empfunden wird. Deshalb trauern die Menschen um eine Kirche und deshalb spenden sie. Die Toten der Terrorattacken konnte man nicht mit Spenden zurückkaufen. Bei Notre-Dame geht das vielleicht.
    Außerdem wird gerne vergessen, dass die Kirche in Frankreich nicht so reich und mächtig ist wie in Deutschland. Im Übrigen wird in Frankreich grundsätzlich gern und viel gespendet. Oft klingeln die Spendensammler an Wohnungstüren oder stehen im Supermarkt hinter der Kasse, so dass es schon fast obligatorisch ist, zu spenden.

    Schöne Grüße aus Paris
    Feli

    Antworten
  3. Wolfgang
    Wolfgang
    23. April 2019 um 16:56

    Hallo Clemens,

    danke für Deinen sehr offenen Artikel zu einem aktuellen Thema! ich denke auch, daß man persönliche Trauer nicht bewerten und schon gar nicht vergleichen darf. Leider passiert aber genau das.

    Liebe Grüsse aus Wien,
    Wolfgang

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