Kampf der Helden
Gedanken

Kampf der Helden

Im dichten Nebel eines kalten Dezembermorgens standen sich zwei Gestalten gegenüber, deren Gewänder vom Schmutz der vorangegangenen Auseinandersetzung gezeichnet waren. Nikolaus’ Bischofsmantel war verschmiert, sein Bart mit Erde durchsetzt. Der Weihnachtsmann wirkte nicht besser: Sein roter Mantel war zerschlissen, fleckig und an den Säumen mit Matsch verklebt. Beide atmeten schwer, nicht nur vor Erschöpfung, sondern vor Ärger. Offensichtlich hatten sie sich gerade nicht nur mit Worten, sondern auch mit Fäusten im Schlamm duelliert. Nun standen sie da, bebend vor Zorn und begannen erneut zu streiten.
„Das reicht jetzt!“, fuhr Nikolaus den Weihnachtsmann an und wischte sich mit einer schlammigen Hand den Ärmel über die Stirn. „Ich werde ständig mit dir verwechselt! Auf Plakaten, in den Einkaufszentren, in den ganzen Fernsehspots – überall sehe ich mich als plumpe Kopie von dir dargestellt.“ Er hob seinen schlammverkrusteten Zeigefinger, fast so, wie es auf dem Bild zu sehen ist. „Und das, obwohl wir grundverschieden sind!“
Der Weihnachtsmann brüllte zurück, seine Stimme rau vom Streit: „Ich kann doch nichts dafür, wenn die Leute uns verwechseln! Ich habe nie behauptet, du wärst ich.“ Seine Hände zu Fäusten geballt, die Knöchel vom Kampf noch gerötet, machte er einen Schritt auf den Nikolaus zu. „Es ist nicht meine Schuld, dass die moderne Welt ein einziges Symbol für Weihnachten will.“
Die moderne Welt!“, schnaubte Nikolaus. „Ich komme am 6. Dezember! Ich bringe Kleinigkeiten – Nüsse, Äpfel, Schokolade. Ich belohne die Kinder für gutes Verhalten, ich bin Teil einer Tradition, die Jahrhunderte alt ist. Ich überhäufe niemanden mit Spielsachen, Tablets oder riesigen Geschenkesäcken. Das bist du!“ Seine Stimme zitterte nicht mehr nur vor Wut, sondern auch vor Verzweiflung.
Der Weihnachtsmann ballte erneut die Fäuste, die noch immer schmutzverschmiert waren, und brüllte: „Natürlich bringe ich Geschenke! Das ist meine Aufgabe! Ich werde seit Jahrzehnten so dargestellt – und ja, die Menschen mögen das! Aber das heißt doch nicht, dass ich dir etwas wegnehme.“ Dann, etwas leiser: „Ich bin ein Produkt vieler Geschichten. Du bist Tradition, ich bin Mythos und Marketing. Beide Rollen haben Platz.“
Nikolaus trat einen Moment zurück, rang um Fassung und stemmte dann seinen Bischofsstab in den matschigen Boden. „Es geht nicht um Platz“, sagte er müde. „Es geht um Respekt. Wenn die Kinder mich sehen und ‚Weihnachtsmann!‘ rufen, dann verliere ich meinen Sinn. Dann wissen sie nicht mehr, wer ihnen Mut machen, wer sie leiten, wer ihnen Werte vermitteln soll. Ich bin nicht der Mann mit dem Rentierschlitten.“
Der Weihnachtsmann, der inzwischen wieder ruhiger wirkte, fuhr sich durch den verfilzten Bart. „Und glaubst du, mir geht es besser? Ich werde inzwischen überall als Symbol für Konsum dargestellt. Ich bin ständig überzeichnet: größer, lauter, kommerzieller. Aber niemand denkt mehr daran, dass ich nicht aus dem Nichts entstanden bin. Dass ohne dich, ohne alte Bräuche, ohne Sinterklaas – ich gar nicht existieren würde.“
Ein schwerer Moment der Stille folgte. Beide wirkten erschöpft vom Streiten, ihre Kleidung zerrissen, ihre Gesichter schmutzverschmiert – ein Bild zweier Legenden, die von der Welt gegeneinander ausgespielt wurden, obwohl sie ein gemeinsames Erbe teilten.
Schließlich hob Nikolaus den Kopf. „Ich will nicht, dass du verschwindest“, murmelte er. „Ich will nur, dass die Menschen wissen, dass du Geschenke bringst – und ich kleine, ehrliche Gaben. Dass ich Kinder bestärke und du sie beschenkst. Dass wir verschieden sind.“
Der Weihnachtsmann nickte. „Dann lass uns dafür sorgen, dass sie es wieder verstehen. Du sprichst lauter über deine Tradition – und ich über meine Herkunft. Vielleicht kapieren die Leute dann endlich, dass wir nicht gegeneinander arbeiten müssen.“
Nikolaus zögerte, dann streckte er ihm die Hand entgegen – schmutzig, aber aufrichtig. „Ein Bündnis?“
Der Weihnachtsmann legte seine ebenfalls matschige Hand hinein. „Ein Bündnis!“
Und so standen sie da, zwei Ikonen, gezeichnet vom Streit, vereint im Verständnis: Der eine als Vorbild und Wohltäter, der andere als fröhlicher Gabenbringer – beide entschlossen, den Menschen ihre Unterschiede wieder näherzubringen.
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